Die Entwicklung der Schule wurde bei der Gründung in den Jahren 1965/66 falsch eingeschätzt. Geplant war ein Gymnasium mit 450 Schülern, im Jahre 1965 wurde es als durchaus bestandsfähig angesehen und 1966 vom Regierungspräsidenten genehmigt. Bereits während der Bauphase des Schulgebäudes wurde das Raumprogramm geändert und abgestellt auf 750 Schüler. Begonnen wurde am 01.04.66 mit 72 Schülerinnen und Schülern in 2 Klassen. Am 01.08.67 waren es bereits 260 Schüler, am 01.08.69 schon 500 Schüler. Am 01.08.74 wurden 7 Sexten aufgenommen, die Schülerzahl stieg explosionsartig an bis zu dem Maximum im Jahre 1981: 1779 Schüler.
Gründe für das schnelle Wachstum der Schule:
Es ist der Schule gelungen, sehr schnell Vertrauen bei den Eltern im Ort (Borghorst) und den umliegenden Gemeinden zu gewinnen. Elternversammlungen auch in Laer, Nordwalde, Altenberge, zu denen der Schulleiter eingeladen wurde, zeigten großes Interesse an der Neugründung und führten sehr bald zu ,einer Umorientierung in bezug auf den Schulstandort. Bereits 1967 gab es 3 Sexten mit zunehmendem Anteil auswärtiger Schüler.
Im Jahre 1964 verkündete Picht die „deutsche Bildungskatastrophe“, durch die ein „nationaler Notstand erster Ordnung“ gegeben sei. Dieser Notstand könne nur durch eine Verdopplung der Abiturientenzahlen vermieden werden. Durch intensive „Bildungswerbung“ sollten die „Begabungsreserven“ vor allem in ländlichen Räumen ausgeschöpft werden, d.h. die Übergangsquote von der Grundschule zum Gymnasium erhöht werden.
Besondere schulorganisatorische Fragen und Probleme in den ersten 10 bis 15 Jahren des Bestehens der Schule.
Im Januar 1966 wurde in NRW der Beschluss gefasst, wie in den meisten Ländern der Bundesrepublik, den Schulbeginn auf den Herbst zu verlegen. Diese Umstellung wurde durch die Einführung von 2 Kurzschuljahren erreicht und nicht durch die Verlängerung eines Schuljahres. So begann das erste am 01.04. und endete am 30.11.66; das zweite dauerte vom 01.12.66 bis zum 31.07.67.
Diese beiden Kurzschuljahre – die ersten beiden Schuljahre der neuen Schule – stellten hohe Anforderungen an die Lehrer, sie erforderten ein hohes Maß an Improvisation auf allen Gebieten, zumal gleichzeitig die bisher geltenden Stundentafeln geändert wurden.
Das explosionsartige Anwachsen der Schülerzahl bedingte eine „sprunghafte“ Vergrößerung des Kollegiums, max. 10 bis 15 Lehrer nahmen zum Schuljahresbeginn ihre lehramtliche Tätigkeit auf. Die neuen Lehrer mussten sehr schnell in das Kollegium integriert werden und mit dem pädagogischen Konzept der Schule vertraut gemacht werden.
Die Expansion der Schülerzahl brachte auch das Problem des Lehrermangels mit sich. Da nicht genügend ausgebildete Lehrer zur Verfügung standen, musste auf Hilfskräfte, z.T. ohne pädagogische Ausbildung, zurückgegriffen werden. Die Hilfskräfte benötigten Betreuung und Hilfestellung, eine zusätzliche Aufgabe für Schulleiter und Kollegium. Der Lehrermangel und der damit verbundene Unterrichtsausfall konnte in Grenzen gehalten werden. Die hauptamtlichen Kräfte des jungen Kollegiums gaben zusätzlichen Unterricht – Überstunden – bis an die Grenze des Zumutbaren. Dieser immense Einsatz – sicher auch Folge der Aufbruchstimmung – hat sehr zum steigenden Ansehen der Schule beigetragen.
Die Expansion der Schülerzahlen belastete die Schüler aber auch mit dem Problem der Raumnot. Begonnen wurde 1966 der Unterricht in der Overberg-Schule – 2 Klassenräume – und ein weiterer Raum an der Gantenstraße.
Zum 01.12.66 Umzug in das 8-klassige Pavillon-System an der Emsdettener Straße,
1968 Erweiterung des Raumprogramms um 4 Pavillons, 1970 Teilung der Schule: 10 Klassen in dem neu erbauten Klassentrakt an der Herderstraße, 1971 Umzug in den Hauptbau, 1972 2. Bauabschnitt: Klassentrakt nach Osten.
Weitere Bauabschnitte: Pavillons an der Herderstraße Pavillons am verlängerten Drostenesch, Pavillons an der verlängerten Haselstiege, Anbau im Verwaltungsbereich.
Der Bau des Hauses und die Erweiterungen – eine großartige und kaum zu ermessende Leistung des Schulträgers – erfolgten immer mit einer gewissen Phasenverschiebung (wenn die Not schon groß war). Zusätzlicher Nachmittagsunterricht, voller Schichtunterricht. Rotation der Schüler im Hause blieben nicht aus.
Das Lehrerzimmer der Schule war ausgelegt für 40 bis 50 Lehrer. Bereits Mitte der siebziger Jahre gehörten 90 bis 100 Lehrer dem Kollegium an, einschließlich der Referendare. Die Lehrerbücherei diente als zusätzliches Lehrerzimmer. Erst 1982 wurden die neuen Räume im Verwaltungstrakt bezogen.
Die innere Struktur der Schule erfuhr in den ersten Jahren viele Änderungen und Ausweitungen auf die sich das Kollegium immer wieder neu einstellen musste.
Gegründet wurde die Schule 1966 als neusprachliches Gymnasium. 1970 Angliederung des Math.-Naturwissenschaftlichen Gymnasiums als 2. Schultyp.
Der deutschkundlich-geschichtlich-musische Bereich war in beiden Typen bis zum Ende der 0II (11.Jahrgangsstufe) fast identisch und wies nur in den Primen einige Änderungen auf. In den Bereichen der Fremdsprachen, der Mathematik und in den Naturwissenschaften kamen die für die Typen charakteristischen Schwerpunkte zur Geltung, der sprachliche Typ wies einen Schwerpunkt im Bereich der Fremdsprachen auf – 3 Fremdsprachen waren von Sexta bis 0II obligatorisch – wobei die Reihenfolge in Bezug auf 2. und 3. Fremdsprache ab 1970 von den Schülern bestimmt werden konnte, die im math. naturw. Gymnasium zugunsten der für diesen Typ charakteristischen Fächer reduziert waren. Aufs Ganze gesehen gab es für alle Schüler eine diskussionslose Kontinuität von Sexta bis Oberprima. Wahlpflichtfächer in den Primen \“garantierten\“ eine relativ große Breite in der gemeinsamen Grundbildung für alle Abiturienten dieser beiden Typen.
Um dem „Bildungsnotstand“ abzuhelfen, also die Zahl der Abiturienten zu erhöhen, wurden Ende der sechziger Jahre Aufbauformen am Gymnasium errichtet, die in 3 Jahren zur Hochschulreife führten. Da sich der Lehrermangel verschärfte, glaubte die Kultusbehörde auch auf diese Weise Nachwuchs für pädagogische Berufe zu gewinnen. So wurde in Borghorst 1972 das pädagogisch-musische Gymnasium in Aufbauform angegliedert, ein Schultyp, der an benachbarten Schulen nicht existierte. Das Interesse für diese Aufbauform war groß, die Anmeldungen waren zahlreich. Intensive Diskussionen im Lehrerkollegium waren notwendig, wegen der unterschiedlichsten Anforderungen in den verschiedenen Zweigen; wie konnte den unterschiedlichen Voraussetzungen der Schüler aus verschiedenen Schulen und auch Schulformen Rechnung getragen werden ?
Gleichzeitig eine andere Entwicklung: 1968/69 setzte große Unruhe unter der studierenden Jugend ein, der man mit bildungspolitischen Maßnahmen begegnen wollte. Im Oktober 1969 informierte ein Vertreter des Kultusministers die Direktoren der Gymnasien über die Gründe und Möglichkeiten für eine Reform der Oberstufe. In der öffentlichen Diskussion stellte sich in zunehmendem Maße die Frage: Wie kann man eine Individualisierung der Bildungsgänge erreichen ? Die Auflockerung bzw. Auflösung der Klassenverbände musste dabei ins Auge gefasst werden.
Die Überlegungen in der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung, in der Bildungskommission des Deutschen Bildungsrates, in der Kultusministerkonferenz, in der Westdeutschen Rektoren-Konferenz und in anderen Gremien führten zu verschiedenen Vorstellungen.
Der deutsche Bildungsrat betrachtete in seinem Strukturplan für das Bildungswesen alle Schulformen des Sekundarbereichs II, d.h. vor allem die Oberstufe der Gymnasien und die verschiedenen Schulen der beruflichen Bildung als differenzierte Einheit, die integriert werden sollten. In Schulversuchen sollten diese integrierten Kollegs – auch nach Vorstellung unseres Kultusministers – in Nordrhein-Westfalen anlaufen.
Vor allem die Kultusministerkonferenz konzentrierte sich auf eine systeminterne Oberstufenreform, also eine Reform der Oberstufe innerhalb des Gymnasiums.
Diese sogenannte Blankertz-Kommission, die Kollegstufenkommission des Landes NRW, führte in Burgsteinfurt eine Diskussionsveranstaltung durch und veranlasste die Schulen des Sekundarbereichs II zu einer gemeinsamen Sitzung im März 1970. Der Plan einer Kollegschule in Steinfurt fand aber sowohl im berufsbildenden als auch im gymnasialen Bereich wenig Gegenliebe, so dass die Gespräche zwischen den Schulleitern bald im Sande verliefen.
Dagegen fand der Vorschlag einer systemimmanenten Reform der Oberstufe im Kollegium der Schule großes Interesse. Es wurde Übereinstimmung erzielt, die „hausgemachten“ Reformansätze anderer Schulen zu studieren und den Verlauf der 1. Versuchsreihe, die an einigen Schulen anlief, kritisch zu verfolgen.
Mit Beginn des Schuljahres 1972/73 wurde für die Sekundarstufe II ein vom Kultusminister vorgeschlagenes Übergangsmodell eingeführt, das die Einrichtung von 6-stündigen und 3-stündigen Unterrichtsveranstaltungen mit einer begrenzten Differenzierung vorsah.
Die theoretischen Vorbereitungen und eigenen Erfahrungen versetzten uns in die Lage, das sehr komplizierte KMK-Modell ohne große Schwierigkeiten 1973 in die Praxis umzusetzen. Dem Prinzip der Individualisierung der Bildungsgänge wurden nicht nur die Klassenverbände geopfert, auch die Struktur der Unterrichtsfächer mussten durch die Einführung von Grund- und Leistungskursen Änderungen erfahren. Der Reform der Oberstufe folgte die „Enttypisierung“ der Mittelstufe, d.h. in den verschiedenen Gymnasialtypen mussten die Unterschiede in den verschieden ausgelegten Stundentafeln beseitigt werden, um für alle Schüler ein Minimum an gemeinsamer Grundbildung sicherzustellen.
Die 1. Abiturprüfung nach der KMK-Regelung wurde 1976 durchgeführt.
Die Lehrer sahen sich in den ersten 10 Jahren so ständig vor neue Aufgaben gestellt. Aus heutiger Sicht ist es schon erstaunlich, dass die Schule mit den vielfältigen neuen organisatorischen Herausforderungen und Schwierigkeiten so gut fertig geworden ist, von den Eltern und Schülern, die auch lernen mussten, dieses System zu durchschauen, ganz abgesehen.
Werner Drees, Schulleiter von 1966 bis 1990, in der Festschrift zum 25-jährigen Bestehen des Gymnasiums Borghorst